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Martin Luther - Ein Mensch zwischen den Zeiten

Vortrag im Rahmen des Reformationsjubiläums

Am 09. März war die Wertheimer Pfarrerin Dr Verena Mätzke bei uns zu Gast. Vor einem bunt gemischten Publikum stellte sie dar, was die Glaubenserkenntnis Martin Luthers uns modernen Menschen für unseren Glauben sagen kann.

Zunächst einmal gilt es dazu, einen breiten bewusstseinsgeschichtlichen Graben zu überwinden. Denn für Luther war alles, was auf Erden passiert, in einen transzendentalen Bedeutungszusammenhang eingebettet. In den 500 Jahren seither hat sich das Denken und der Glauben jedoch stark gewandelt.

Luthers Glaubenserkenntnis war das Ergebnis seines langjährigen Ringens mit Gott und den hergebrachten Glaubensvorstellungen von ihm. Die Menschen (und mit ihnen Luther) lebten in Angst vor dem Einfluss des Teufels und der ewigen Hölle. So entsprang Luthers Suche nach Erlösung und einem gnädigen Gott einer tiefen existentiellen Sehnsucht.

Um dies für heutige Menschen begreifbar zu machen, so der Ansatz von Frau Dr Mätzke, müssen wir die existentiellen Sehnsüchte der Menschen in unserer Gegenwart herausarbeiten, als da wären die Sehnsucht nach Selbstbestimmung (aktuell im Blick auf das Lebensende), die Sehnsucht nach Freiheit zur Selbstentfaltung, die Sehnsucht nach Sicherheit und deren Zwillingsschwester: die Sehnsucht nach Zugehörigkeit, sowie die Sehnsucht nach Selbstverwirklichung (so sein zu dürfen, wie man ist oder sich selbst entwirft).

Die Antworten der reformatorischen Erkenntnis Luthers in diese Sehnsüchte hinein übersetzt lauten:
1. Du bist genug!
2. Es gibt eine ewige Zugehörigkeit!
3. Was Du tust, hat Bedeutung!


Diese drei Antworten wurden von Dr. Verna Mätzke im weiteren Verlauf des Vortrags entfaltet:


1. Du bist genug!

Luthers Grundfrage war, ob er für Gott gut genug sei. Die Mittel der damaligen Zeit: Gebet, Fasten, Almosengeben - alles hatte Luther ausgelotet bis hin zum Eintritt in den Orden der Augustiner. Und noch immer war er diese Angst nicht los. Er merkte, dass ihm eine grundsätzliche Eigenschaft weiter fehlte: Er tat das alles aus Angst vor Gott, aber konnte Gott nicht lieben. „Ich habe den gerechten Gott nicht geliebt, sondern gehasst.
Erst die Erkenntnis, dass die Gerechtigkeit Gottes in der Bibel eben keine statische Eigenschaft ist, eine, mit der Gott eins zu eins über unsere Wohl- und Untaten urteilt, diese Erkenntnis führt für Luther hinaus aus der Angst in die Freiheit der Kinder Gottes. Gerechtigkeit Gottes - wie sie Luther entdeckt - ist die Gerechtigkeit, die Gott denen aus Liebe schenkt, die ihm vertrauen, eine dynamische Gerechtigkeit, die Menschen aus ihrer Erstarrung befreit und sie in Bewegung setzt und so erst fähig macht, neu und anders zu handeln.


2. Es gibt eine ewige Zugehörigkeit!

Luther hat diese Erkenntnis im Bild der Ehe gefasst: Wie in einer Ehe der Besitz der Einzelnen in einen gemeinsamen Besitz übergeht, so gleicht der gläubige Christ der Braut, die in ihrer Verbindung mit Jesus als dem Bräutigam dessen Gerechtigkeit zugerechnet bekommt. Jesus trägt unser Versagen (unsere Sünde) „als Ehemann“ mit, während wir „als Braut“ Jesu Gerechtigkeit als unverlierbare Eigenschaft erhalten.

3. Was Du tust, hat Bedeutung!

In seinem „Sermon von der dreifachen Gerechtigkeit“ aus dem Jahr 1518/19 setzt sich Luther u.a. mit der scholastischen Lehre auseinander, die den Zusammenhang zwischen Werken und Glaube so sieht: Der Glaube muss durch die Werke der Liebe erst noch geformt werden.

Diese Annahme führt für Luther in den unauflöslichen Kreislauf der Angst, ob man auch genug im Sinn der Liebe Gottes wirke. Dagegen hält Luther daran fest, dass der Glaube sich nicht erst durch Werke beweisen müsse. Aber: Es ist auch nicht gleichgültig, was wir tun. Es kommt durchaus darauf an, dass diejenigen, welche die Liebe Gottes als Geschenk erhalten, auch in Gottes Sinn, also glaubwürdig den Glauben an Gottes Liebe vertreten. Was wir tun, hat also Bedeutung, aber nicht so, dass wir dadurch erst vor Gott Bedeutung erhielten (uns also die Liebe Gottes verdienen könnten, die wir doch schon besitzen).

In der anschließenden Diskussion mit den etwa 30 Besucher/innen zeigte sich, dass der Kern unseres Problems, Luther noch zu verstehen, sich an dem Begriff der „Gerechtigkeit“ fest macht. Wir verstehen diesen Begriff heute fast ausschließlich unter dem Blickwinkel einer juristisch einklagbaren Sache - also als „justitia“: als einer aktiv, von uns herbeizuführenden Gerechtigkeit, die sich auch in moralischem Handeln erweist.

Wird der Begriff allerdings entgegen dem historischen, theologischen Befund ausschließlich so verwendet, dann ist uns die Argumentation Luthers eigentlich kaum noch verständlich. Im Gegenteil: Wir finden uns damit in dem schon von Luther vor seiner reformatorischen Erkenntnis empfundenen Unvermögen wieder, in diesem Sinn vor Gott gerecht zu handeln, und stehen so wie Luther weiter vor der „Richterbank Gottes“: unbedeutend in unserem Handeln, kleingemacht und ängstlich, aber nicht frei und offen und liebesfähig.

Eigentlich wäre es also Aufgabe der Theologie, den biblischen Begriff der „Gerechtigkeit“ durch einen neuen Begriff zu ersetzen, der dieses Dilemma überwindet (ohne solch ausschweifende Erklärungen zu benötigen). Ein solcher Begriff ist derzeit nicht in Sicht. Oder müsste sich an vormodernen Begrifflichkeiten orientieren, wie Frau Dr Mätzke etwa am Begriff der „Frommkeit“ anknüpft, einer Tugend, deren Träger vertrauenswürdig sind, weil sie der Liebe Gottes entsprechend handeln, „tun, was anderen frommt“, was aber eben nicht wie „Werke“ aufrechenbar ist sondern bestenfalls Ausweis einer inneren Haltung.

Die Besucher/innen des Vortrags nahmen einen ganzen Strauß von Anregungen zum Nachdenken und die Referentin ein Dankeschön aus dem Eine-Welt-Koffer unserer Gemeinde mit nach Hause.

 

 
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