Europäisches Filmfestival der Generationen

Neuland

Neuland hieß nicht nur der Film, den wir am 13. Oktober in unserem Gemeindehaus zeigten, Neuland war für uns auch die Teilnahme am „Europäischen Filmfestival der Generationen“. Aber die Befürchtungen mancher, wir würden dabei mehr oder weniger unter uns bleiben, bewahrheiteten sich nicht. Es gab großes Interesse an dem Film, nicht nur Gemeindeglieder der katholischen und der evangelischen Gemeinde kamen, sondern darüber hinaus war auch zahlreiches Fachpublikum anwesend (Lehrer/innen, die mit Migrantenkindern arbeiten, sowie Student/innen aus den Sozialfächern der Uni Heidelberg, Mitglieder der Flüchtlingshilfe Leimen) und sogar eine Delegation von Student/innen und Professoren aus Indien fand den Weg zu uns.

Der Film Neuland portraitiert die Arbeit eines Lehrers, Christian Zingg, mit einer Integrationsklasse in Basel. Christian Zingg selbst war anwesend und erläuterte vor Beginn des Films einen wichtigen Unterschied des Schulsystems der Schweiz zu unserem: Es gibt in der Schweiz grundsätzlich nur zwei Schulabschlüsse. Entweder das Abitur und damit die Studierfähigkeit an der Universität. Oder den Abschluss einer Berufsausbildung, der zugleich als Schulabschluss gilt.

Die Schule, an der Christian Zingg seit mehr als 26 Jahren unterrichtet, ist seit den 80er Jahren bis heute eine Modellschule für Integration von Migranten „aller Art“, und dazu zählen auch Auslandsschweizer, die in die Schweiz zurückkehren, aber sprachliche Defizite in Deutsch haben. So herrscht in den Klassen ein buntes Gemisch an Jugendlichen unterschiedlicher Herkunft. Was sie alle eint: Sich in einem fremden Land mit fremder Sprache zurechtfinden zu müssen.
Insbesondere die ersten Tage an der Schule sind für viele dieser Schüler der „blanke Horror”, so beschreibt es Zingg: “Die überwiegende Mehrheit wurde früher in der Schule geschlagen, und zwar nicht ein bisschen mit dem Lineal auf die Finger, sondern so, dass man die Narben am ganzen Körper noch immer sieht. Dann stehe ich da, sie verstehen mich kaum, haben keine Ahnung, was ich von ihnen möchte und wie ich mich ihnen gegenüber verhalten werde. Man muss es langsam und vorsichtig angehen, Vertrauen gewinnen.“

Der Film begleitet die Entwicklung der Jugendlichen vom Eintritt in die Schule bis zum Beginn ihrer Berufsausbildung nach 2 Jahren, zeigt ihre Fragen, Interessen und ihre Probleme.

Im Gespräch nach dem Film ging es u.a. um eine Situation, in der Zingg einer begabten jungen Frau erklären muss, dass sie Ihren Traum, Grundschullehrerin zu werden, aufgrund ihrer dafür nicht ausreichenden Sprachkenntnisse aufgeben muss. Vielen erschien diese Direktheit als zu hart. Christian Zingg gab zu, dass er ihr zuvor falsche Hoffnungen gemacht habe, zu einem Zeitpunkt, als das noch nicht absehbar war.

Aber er stellte auch klar, dass er als Lehrer dazu da sei, die Schüler/innen in seinen Klassen nicht in ihren Illusionen zu belassen, da dann die Enttäuschung nur später und härter erfolge. Seine Aufgabe sieht er darin, den jungen Menschen Wege aufzuzeigen, wie sie mit den ihnen eigenen Gaben ihr Leben meistern können. Dazu gehöre, das Vertrauen der Schüler/innen durch absolute Ehrlichkeit und den Einsatz für sie zu gewinnen. Dass ihm dies gelingt, wird am Schluss des Films deutlich, als sich seine Schüler/innen am Ende ihrer Schulzeit von ihm verabschieden - darunter auch die oben erwähnte Schülerin.

Für mich zeigte der Film, dass Christian Zingg für seine Schüler/innen mehr als “nur” ein Lehrer ist. Er ist zugleich Seelsorger, der all die Traumata auffängt, die diese jungen Menschen auf dem Weg aus ihrer Heimat nach Europa mitbringen. Er ist Sozialarbeiter, der sich um die Probleme der Jugendlichen in ihrem derzeitigem Lebensumfeld kümmert, ihnen auf Augenhöhe begegnet und mit ihnen gemeinsam Lösungen sucht. Er ist Berufsberater und Coach und noch viel mehr. Ein Mensch, der ganz für seine Schüler/innen lebt.

Wie er das schaffe, das alles nicht zu sehr an sich heran zu lassen, damit es ihn nicht auffresse, wurde er gefragt: Mindestens einen der beiden Wege von zu Hause zur Schule geht er zu Fuß - 7 km. Am besten den Heimweg.

Neuland - absolut empfehlenswert, sich diesen Film mit dieser bemerkenswerten Persönlichkeit und seiner Arbeit anzusehen, informativ und berührend. Wir werden uns darum bewerben, auch im nächsten Jahr mindestens einen Film im Rahmen des Filmfestivals der Generationen zu zeigen. Es lohnt sich, solche Menschen kennen zu lernen, und sich von ihnen für die eigene Arbeit inspirieren zu lassen.

 

 
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