Pfingstgedanken

Liebe Gemeinde,

viele bunte Luftballone sind auf unserem Titelbild zu sehen. Bunt wie die Vielfalt des Lebens. Dieselbe Vielfalt, die auch das Geschehen an Pfingsten beschreibt. Die Apostelgeschichte schreibt darüber Folgendes:

An Schavuot, 50 Tage nach Pessach, waren wieder alle, die zu Jesus hielten, versammelt. Plötzlich gab es ein mächtiges Rauschen, wie wenn ein Sturm vom Himmel herabweht. Das Rauschen erfüllte das ganze Haus, in dem sie waren. Dann sahen sie etwas wie Feuer, das sich zerteilte, und auf jeden von ihnen ließ sich etwas wie eine Flammenzunge nieder. Alle wurden vom Geist Gottes erfüllt und begannen in verschiedenen Sprachen zu reden, jeder und jede wie es ihnen der Geist Gottes eingab. (Apostelgeschichte 2,1-4)

Dort in Jerusalem waren Menschen aus aller Herren Länder versammelt, aus den Ländern rund um das Mittelmeer, Krethi und Plethi (Kreter und Palästinenser) eben. Und jeder konnte auf einmal verstehen, was die Jünger Jesu mit ihrer, mit Seiner Botschaft meinten. Über alle Unterschiede, über alle Abgrenzungen hinweg war allen mit einem Mal klar, worum es ging.

Ich denke, dass die Kommunikation unserer Botschaft, der Botschaft Jesu oft darunter leidet, dass Menschen uns nicht verstehen, obwohl wir in unseren Gemeinden gemeinhin doch dieselbe Sprache sprechen. Woran das liegt? Vielleicht daran, dass unserer Botschaft die Glaubwürdigkeit fehlt, dass wir mit unserem Leben unserer Botschaft im Wege stehen. Schon Nietzsche bemerkte, dass man den Christen ihr Erlöstsein oft so wenig ansieht. Das ist aber nur ein Ausschnitt dessen, was das “Verstehen” der Botschaft von der Liebe Gottes zu uns Menschen, zu seiner Schöpfung behindert.

Damals an Pfingsten haben die Wallfahrer, die zum Tempel in Jerusalem kamen, eine junge Gemeinde kennen gelernt, in der ein frischer Wind wehte, in der die Liebe Gottes lebendig wurde. Wie das aussah, auch davon weiß die Apostelgeschichte zu berichten: Menschen, die zum Glauben kamen, waren beieinander und teilten ihr Leben. Die Standesunterschiede wurden bedeutungslos, man traf sich abends zum Essen und kümmerte sich gemeinsam um die Mittellosen in der Gemeinde. In der Tat, solches Erleben spricht für sich selbst, da wird die Botschaft deutlich trotz aller Sprachunterschiede, denn diese Sprache, die Sprache der Liebe, ist universal.

Der Geist, der in diesen Erfahrungen zu den Menschen spricht, den sie hier erleben, begeistert die vielen. Das springt über, von einem zum anderen. So ausgetrocknet waren die Seelen, so sehr verzehrten sie sich nach der Erfahrung der Nähe Gottes, dass sie Feuer fingen, - so wie ein fliegender Funke genügt, um bei einem Buschbrand einen weit entfernten, trockenen Baum in helle Flammen zu versetzen. “Feuer und Flamme” waren die Menschen in Jerusalem - für die Sache Jesu. Über 5000 ließen sich an Schavuot taufen, so die Apostelgeschichte, und täglich wurden es mehr.

Nein, wir können dieses “Wunder” nicht machen, nicht selbst herbeiführen. Solche Erfahrung und diese Reaktion darauf sind uns unverfügbar, ein Geschenk Gottes. Aber wir können versuchen, die Rahmenbedingungen dafür zu verbessern. - Wie ? Die Antwort auf diese Frage verbirgt sich in diesem biblischen Text über Pfingsten - und daneben auch auf unserem Titelbild.

1. Abgrenzungen aufbrechen - über alle Sprach- und Verständnisgrenzen hinweg das deutlich machen, worum es in unserem christlichen Glauben geht: um die Liebe Gottes, die unterschiedslos allen gilt. Und das heißt dann auch, aktiv an der Überwindung von Grenzen arbeiten - in unserer Gemeinde, in unserer Gesellschaft. Den anderen verstehen wollen, die Gemeinsamkeiten suchen statt die Unterschiede zu betonen. Die Vielfalt des Lebens soll seinen Platz in der Gemeinde haben.

2. Gemeinschaft leben - in einer Gesellschaft, die immer stärker das Individuum betont, in der Konkurrenz, Leistung und Erfolg zu Prinzipien werden, stärken wir Zusammenarbeit, Kooperation und gegenseitige Unterstützung, bieten wir Ruhepunkte im täglichen Wettkampf, der Menschen ausbrennt. Die Vielfalt des Lebens soll sich in der Gemeinde ergänzen.

3. Die Liebe Gottes weitergeben, über den engen Kreis der Gemeinde hinaus für andere da sein - das ist gemeint, wenn Menschen vom Geist be-rührt, vom Pfingstgeist durchdrungen sind. Ekstase ist mehr als “Zungenrede”, wie sie manche “Pfingstkirche” pflegt. Ekstase ist das “Aus-Sich-Heraustreten”, ist: den egoistischen Bezug auf sich selbst aufzugeben und über sich selbst hinauswachsen in Liebe auf den anderen zu. Diese Liebe bildet das Herz der Gemeinschaft und verbirgt sich in aller Vielfalt, wie sie auch unser Titelbild vermittelt ...

“Ein neues Gebot gebe ich euch”, so spricht Jesus nach Johannes (13,34f), “dass ihr euch untereinander liebt, wie ich euch geliebt habe, damit auch ihr einander lieb habt. Daran wird jedermann erkennen, dass ihr meine Jünger seid, wenn ihr Liebe untereinander habt.”
Wenn dies für jedermann erkennbar ist, dann ist Pfingsten !

Mit pfingstlichen Segenswünschen
Ihr Jörg Geißler, Pfarrer

 

 
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