Jesus verkündete das Reich Gottes - gekommen ist die Kirche

"Jesus verkündete das Reich Gottes – gekommen ist die Kirche.“

Dieses Zitat des französischen Theologen Alfred Loisy (1857-1940) reist den Horizont auf. Bevor ich jedoch darauf eingehe, was das konkret für die „Gemeinschaft“ innerhalb der Kirche bedeutet, Folgendes vorweg: Kirche im Sinn einer Institution braucht es. Heute.

Damals war Jesus mit seinen Jüngern unterwegs, auf Wanderschaft durch Galiläa und das Land Israel. Als Wanderradikale hat man sie daher beschrieben. Ihre Tätigkeiten: Das Evangelium verkündigen, Kranke heilen, Ausgestoßene in die Gemeinschaft integrieren. Auch: Anhängerinnen und Anhänger finden, die nicht mitwandern, aber die Gemeinschaft durch ihre Spenden und Kost und Logis unterstützen.

In unserem modernen Gesellschaftsmodell ist diese Lebensweise Jesu und seiner (männlichen) Jünger nur etwas für „Aussteiger“. Das muss man bewusst wollen. Mit aller Konsequenz. Eine sesshafte Community aber ab ca 100 Mitgliedern braucht eine andere Organisationsstruktur. Eben Kirche! Kirche als Institution braucht Strukturen. Verantwortungsbereiche, für die jemand zuständig ist. Gruppenleiter, Kirchengemeinderäte, Synoden usw … Das muss auch finanziert werden durch Umlagen unter den Mitgliedern. Ob in unserer heutigen Struktur durch Kirchensteuern oder auch anders – aber geregelt. Füreinander einstehen, den Laden gemeinsam tragen. Innerhalb der jeweiligen Kirchengemeinde, aber auch durch solidarisches Teilen zwischen den Kirchengemeinden.

Soweit der Unterschied zwischen den Organisationsformen des frühen Christentums mit kleinen Gemeinschaften, in der jeder jeden kannte und um dessen Nöte wusste, und unseren großen unübersichtlichen Gemeinden heute. Nun zu den Gemeinsamkeiten:

Was Jesus nämlich mit dem Reich Gottes verkündete, war in erster Linie etwas, das sich auf die Beziehungen untereinander und zu Gott bezog ( zu Letzterem vgl. auch den Artikel zum Gottesdienst im vorherigen Gemeindebrief). Die Beziehungen zu Gott spiegeln sich in den Beziehungen zum Mitmenschen, als erstes innerhalb der Gemeinde (aber auch darüber hinaus): „Ein neues Gebot gebe ich euch: Liebt einander! Wie ich euch geliebt habe, so sollt auch ihr einander lieben. Daran werden alle erkennen, dass ihr meine Jünger seid: wenn ihr einander liebt!“ – So formuliert es Jesus laut Johannes-Evangelium 13,34-35.

Die Konsequenz: Füreinander eintreten, solidarisch sein mit den Mitmenschen, Verantwortung für das Ganze übernehmen! Das ist, was Jesus mit der „Basilea tou Theou“ meint, mit der Herrschaft Gottes (über unser Leben), wie die korrekte Übersetzung lautet statt des doch sehr statischen Begriffs „Reich Gottes“ – da denken wir zu sehr an ein „Land“ statt an Beziehung.

Paulus geht da dann auch noch weiter ins Detail, indem er die Dienste in einer Gemeinde einander zuordnet, wie er es im 12. Kapitel im Brief an die Römische Gemeinde tut:

4 Denn wie wir an einem Leib viele Glieder haben, aber nicht alle Glieder dieselbe Aufgabe haben, 5 so sind wir, die vielen, ein Leib in Christus, aber untereinander ist einer des andern Glied. 6 Wir haben mancherlei Gaben nach der Gnade, die uns gegeben ist. Hat jemand prophetische Rede, so übe er sie dem Glauben gemäß. 7 Hat jemand ein Amt, so versehe er dies Amt. Ist jemand Lehrer, so lehre er. 8 Hat jemand die Gabe, zu ermahnen und zu trösten, so ermahne und tröste er. Wer gibt, gebe mit lauterem Sinn. Wer leitet, tue es mit Eifer. Wer Barmherzigkeit übt, tue es mit Freude.

Das Bild vom Leib zeigt an, dass es Paulus um eine Gemeinschaft geht, in der jeder seine eigene, seinen Fähigkeiten entsprechende Aufgabe hat. Diese Aufgaben sind wie die Aufgaben der Organe im menschlichen Körper aufeinander abgestimmt, greifen ineinander, ergänzen einander. Und ohne die Übernahme dieser den eigenen Fähigkeiten entsprechenden Aufgaben ist der gesamte Organismus, die Gemeinde, nicht lebensfähig.

Nun müssen wir als Gemeinde uns fragen lassen, was von dieser Fürsorge füreinander und dieser Arbeitsteilung in der Gemeinde bei uns zum Ausdruck kommt.

Das gibt es ja schon bei uns, dass Menschen sich füreinander interessieren, einander beistehen, auch im Privaten. Es gibt Orte, wo solch ein Austausch gepflegt wird über Aufgaben, vor denen jeder von uns in bestimmten Lebenssituationen steht. Sei es – kleine Auswahl aus unserem Gemeindeleben - als Eltern im Krabbelkreis, sei es über Fragen des Alters im Seniorenkreis, sei es bei Fra-gen der Identität, wie sie in diesem Alter anliegen, im Jugendkreis. Oft geschieht das in einem eher lockeren Rahmen, bei Kaffee und Kuchen, am Grill …

Kann man natürlich auch ohne Gemeinde haben, im Freundeskreis, klar. Aber: Bei Kirchens ist das – idealerweise – getragen von einem anderen Geist. Dem Geist Gottes, dem Geist der Nächstenliebe. Und unter diesem Geist wird das im Lauf des Lebens zu einer Haltung, von der dann das ganze Leben getragen wird.

So weit, so gut. Nun wird es allerdings langsam heikel. Denn die genannten Kreise machen ja nur einen kleinen Teil unserer Gemeinde aus. Bei rund 3.400 Gemeindegliedern. Wo sind denn da all die anderen? Vielleicht haben Sie nur noch nicht begriffen, welches Angebot Gemeinde Ihnen da machen kann? Einen Ort zu finden, der im Kontrast steht zu den ständigen Anforderungen der Leistungsgesellschaft rund um uns herum? Der Oase sein kann, im guten Sinn. Ein Ort zum Auftanken, Kraft schöpfen, Widerstand zu leisten. Gegen alles Unmenschliche, das uns selbst abverlangt wird oder das wir anderen antun.

Dafür braucht es aber wiederum Organisationsstrukturen, Menschen die Verantwortung übernehmen. Da gibt es leider – nicht nur bei uns, auch in Vereinen – immer weniger Menschen, die dazu bereit sind. Siehe bei uns Thema Kirchengemeinderatswahlen. In einer Gemeinde unserer Größe sollten eigentlich acht Kandidat/innen gewählt werden, mindestens aber sechs.

Zur Wahl am 1. Advent haben sich weniger Kandidatinnen bereit erklärt, als für eine Gemeinde unserer Größe vorgesehen sind. Auch wenn der Kirchengemeinderat durch Pfarrer*in und Gemeindediakon*in ergänzt werden, bedeutet eine größere Anzahl ehrenamtlicher Mitglieder, dass mehr unterschiedliche Sichtweisen bei Diskussionen einfließen können und alle Entscheidungen auf einer größeren Vielfalt an persönlichen Erfahrungen und Kompetenzen basieren.

Weitere Konsequenz: Je weniger Gemeindeglieder Verantwortung übernehmen, desto weniger kann von den Verbleibenden an Aufgaben übernommen werden. Es sind ja Ehrenamtliche. Das sollten sich auch die merken, die von unserer Gemeinde viel erwarten. Das kann dann aber nicht mehr geleistet werden, solange sie selber nicht bereit sind, Verantwortung zu übernehmen. Darum an dieser Stelle herzlichen Dank an die Gemeindeglieder, die sich bereit erklärt haben, für den Kirchengemeinderat zu kandidieren.

Dringend hätten wir mehr Kandidat/innen für die Wahl gebraucht. Nicht nur aus dem demokratischen Recht der Auswahl. Sich für die laufende Wahl noch zu bewerben, dafür ist es aber zu spät – die Anmeldefristen sind längst verstrichen, die Wahlzettel im Druck …

Was aber möglich ist – sofern Sie sich denn angesprochen fühlen und sich eine Mitarbeit vorstellen können – ist eine Zuwahl durch die dann gewählten Kirchengemeindemitglieder. Das geht jederzeit. Und jederzeit können Sie mit mir oder dem Kirchengemeinderat Kontakt aufnehmen.

Sie können mich erreichen unter der E-Mail-Adresse joerg.geissler @kbz.ekiba.de. Solange ich nicht gerade in einer Behandlungsphase bin, auch wenn Sie zunächst eine automatisierte Antwort erhalten, dass ich außer Dienst bin, werde ich Ihre Mails lesen und ggf. beantworten (soweit es den Dienst betreffende Mails sind, leite ich diese aber an das Pfarramt weiter).
Sie können sich aber auch an den Kirchengemeinderat wenden unter der E-Mail-Adresse des Pfarramts (st.ilgen@kbz.ekiba.de).

Ganz unabhängig davon, ob Sie Verantwortung für die Gemeinde im Kirchengemeinderat übernehmen wollen oder nicht: Es gibt noch viele andere Wege, unsere Gemeinde im Sinne der Gottesherrschaft mitzugestalten. Sie selbst haben dazu Gaben und Fähigkeiten. Meine Bitte: Bringen Sie sie ein in unsere Gemeinde! Das können ganz niederschwellige Angebote sein, bei denen zunächst die bloße Begegnung im Vordergrund steht. Dabei können dann die Beziehungen wachsen, die bei Bedarf auch im Alltag tragen.

Bei Jesus fingen diese Beziehungen mit dem gemeinsamen Essen an. Mit seinen Jüngern und mit so unterschiedlichen Gruppen wie den „Zöllnern“ und den „Pharisäern“ (die im Alltag Gegner waren), versammelt um einen Tisch. Menschen ins Gespräch bringen, Mauern abbauen, neue Beziehungen knüpfen – „netzwerken“.

Das sind wir dann ganz nah an der christlichen Botschaft von der Versöhnung. Und an dem Punkt, von dem aus Gemeinschaft neu gestaltet werden kann.

Mein Wunsch an Sie: Bringen Sie sich ein! In unsere Gemeinde. Für den Fall, ich kann in meinen Dienst zurückkehren, freue ich mich auf eine gute Zusammenarbeit mit Ihnen. Selbst ohne mich wird auch der neue KGR froh sein über jede tätige Mithilfe.


Ihr Jörg Geißler,
Gemeindepfarrer

 

 
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