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EVANG. KIRCHENGEMEINDE ST. ILGEN


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Grußwort im Juni 2014

Baustelle Kirche

Nein, liebes Gemeindemitglied, ich meine damit nicht unsere aktuelle Baustelle an der Dreifaltigkeitskirche. Jedenfalls nicht in erster Linie. Wenngleich diese sichtbare Baustelle der Aufhänger für mein Leitwort ist. Doch dieser Titel hat darüber hinaus eine Tiefendimension:

Denn Kirche war immer Baustelle. Schon früher. Schon in den Zeiten der frühen Christen, als sie gerade entstand. Paulus zum Beispiel musste reagieren auf die Zustände, auf die er in Europa traf. Und mit ihm die Urgemeinde in Jerusalem. Auf einmal gab es Menschen außerhalb des Judentums, die sich von der Liebe angezogen fühlten, wie sie es bei den frühen Christen erlebten. Die sich umeinander in Solidarität kümmerten, die ihren Besitz und ihr Leben miteinander teilten. Diesen Heiligen Geist der Liebe haben wir gerade an Pfingsten wieder miteinander gefeiert.

Er war so ansteckend, dass sich die Zusammensetzung der Gemeinden radikal änderte. Waren davor Christen mit jüdischen Wurzeln in der Mehrheit, dominierten bald Menschen mit „heidnischen“ Wurzeln die jungen Gemeinden, zumal in Europa. Waren zunächst die Außenseiter der Gesellschaft angezogen von der Zusage der Liebe Gottes, die allen ohne Ansehen der Person gilt, so wurde schnell die Angehörigen der Mittelschicht zum Träger der Gemeindearbeit. Sie brachten als Aufsteiger aus den armen Schichten die Erfahrung mit sich, was solch ein Leben bedeutet, und erkannten ihre Verantwortung.

Über die Jahrhunderte gab es immer wieder Umbrüche. Der Glaube, das Vertrauen in den Gott der Liebe, wie sie den Zeugen in den Evangelien in Jesus begegnet war, musste immer wieder neu ausgerichtet werden. Die Völkerwanderung, die Entdeckung Amerikas, die naturwissenschaftliche Enträtselung der Welt sind Beispiele für solche Zäsuren. Luther stellte fest, dass Kirche sich immer weiter wandeln müsse, wenn sie denn den Menschen zeitgemäß die Botschaft von der Liebe Gottes nahe bringen wolle. Ecclesia semper reformanda! Kirche also als Dauerbaustelle! Als eine Herausforderung!

Auch unsere Gesellschaft befindet sich in einem großen kulturellen Wandel. Damit meine ich nicht nur die Tatsache, dass Deutschland zum zweitbeliebtesten Einwanderungsland hinter den USA geworden ist. Auch unter uns „Eingeborenen“ gibt es keine alle verbindende Kultur mehr.
Neben die unterschiedlichen kulturellen Prägungen der verschiedenen Generationen tritt die Beobachtung, dass sich immer mehr Menschen einen „eigenen“ Glauben zulegen, der Elemente ganz unterschiedlicher Glaubenstraditionen verbindet, häufig individualisiert auf das eigene „Heil“ bezogen, aber immer weniger auf eine Gemeinschaft. Anlass genug also, um miteinander ins Gespräch zu kommen, möglichst um Abgrenzungen aufzubrechen.

Schon Jesus hat mit seiner Jüngerschaft die statischen Strukturen aufgebrochen, die damals in seiner israelitischen Heimat herrschten. Die von der religiösen Gesellschaft definierten Grenzen der Gemeinde galten bei Jesus nicht mehr.

Die Gescheiterten, von anderen Gemiedenen, wurden von Jesus wert geachtet, an seinen Tisch geholt. Überhaupt das gemeinsame Essen - auch in den informellen Gesprächen am Tisch ereignet sich zwischen Jesus und den Tischgenossinen und -genossen Reich Gottes. Einander an- und wahrnehmen. Ein Vorgeschmack auf das Festmahl am Tisch Gottes in seinem Reich.

Ecclesia - der lateinische Begriff für Kirche - die (durch Gott) Zusammengerufenen. Die sich von Gott herausfordern lassen. Die sich von seinem Ruf der Liebe in Bewegung setzen lassen, die alle Abgrenzungen ignorieren, die wir Menschen künstlich errichten - meist nur, um unsere eigene Identität zu sichern. Jesus aber durchbricht die Mauern der Angst und öffnet Menschen füreinander.

Im Gespräch mit den von „rechtgläubigen“ Gemeindegliedern gemiedenen Samaritanern provoziert er mit der Überzeugung, dass die zu seiner Zeit gültigen gegenseitigen Verwerfungen und Abgrenzungen im Glauben einst überwunden sein werden und es dann nur darauf ankomme, Gott im Geist und in der Wahrheit anzubeten, also glaubwürdig in Wort und Tat.

Kyriakä - der andere, griechische Begriff für Kirche - bezeichnet die zum Herren Gehörenden. Die nicht nur getauft sind, sondern sich nach seinem Willen ausrichten,- dem Willen Gottes, der es gut mit allen Menschen meint.

Und da kommt dann schlussendlich unsere - sichtbare - Baustelle ins Spiel. Denn das neue Gemeindehaus ist ein Platz für diese Kirche, für die Zusammengerufenen, für jene, die sich herausfordern lassen von Gottes Liebe, ein Platz für Sie und mich. Denn dieses Haus ist Ihr Haus ! Sie bestimmen mit, was darin geschieht !

Wird es ein lebendiges Haus -
eines, das allen offen steht, die die Begegnung mit anderen suchen ?
Wird es ein Haus der Vielfalt,
in dem sich die unterschiedlichen Kulturen begegnen ?
Wird es ein Haus, in dem Solidarität gelebt
und Austausch gepflegt wird, über alle Abgrenzungen hinweg ?

Dieses neue Haus bietet jedenfalls die Chance für einen grundlegenden Wandel, schon jetzt als Baustelle und nach der Fertigstellung für jene Baustelle Kirche, deren Bausteine wir selbst sind.

Mit diesem Heft wollen wir diesen Wandel anstoßen. Hier finden Sie ein Beilageblatt, auf dem Sie, liebe Leserinnen und Leser, selbst schreiben können, wovon Sie träumen, welchen Wandel Sie selbst anstoßen und begleiten möchten.

Es ist Ihre Baustelle, es wird Ihr Haus !
Bauen Sie mit !


Ihr Gemeindepfarrer Jörg Geißler


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