Besuch auf dem Kirchentag in Hamburg

34. Evangelischer Kirchentag in Hamburg vom 1. bis 5. Mai 2013

“Was steht eigentlich auf dem blauen Schal?”, fragte mich die Verkäuferin im Supermarkt. Ja, die knapp 120.000 Teilnehmer mit ihren blauen Kirchentagschals fielen auf in Hamburg. Und morgens in der U-Bahn war der Schal das Erkennungszeichen, auch mal wildfremde Menschen anzusprechen, wo sie herkommen, zu welcher Veranstaltung sie gerade wollen, wie ihnen der Kirchentag gefällt.
Und was steht auf dem Schal: Soviel du brauchst. Kurz und prägnant ist das Kirchentagsmotto aus 2. Mose 16,18. Dort wird von der Speisung des hungrigen Volkes Israel bei der Flucht aus Ägypten durch Manna berichtet. Und politisch hochaktuell ist dieses Thema angesichts der Diskussionen um Mindestlöhne, Deckelung von Managergehältern und Steuerehrlichkeit.

Beim Eröffnungsgottesdienst am Strandkai in der Hafencity erläuterte die Hamburger Bischöfin Kirsten Fehrs, dass Gott auch uns mit allem versorgt, was wir benötigen, betonte andererseits aber auch, dass dies uns verpflichtet, denen zu helfen, die nicht genug haben. “Alles was mehr ist, als was wir brauchen, das verdirbt - auch den Charakter”, predigte Fehrs.
Bei über 2500 Veranstaltungen in fünf Tagen haben wir gezielt einige bekannte Namen herausgesucht wie die Bibelarbeit mit Margot Käßmann, den Gospelabend mit Dieter Falk und das Open-Air-Konzert der Wise Guys. Oftmals bedeutet dies aber auch rechtzeitig da zu sein, sonst steht einer der 3000 freundlichen Helfer mit dem Schild “Halle überfüllt” vor dem Eingang. Soviel du brauchst, heißt es auch bei der Planung der Aktivitäten auf dem Kirchentag. Manchmal ist weniger mehr, und anstatt immer im 600 Seiten dicken Programmbuch zu blättern, ob nicht irgendwo doch noch eine “bessere” Veranstaltung wäre, ist es viel sinnvoller, sich einfach am Augenblick und dem Jetzt zu freuen.
Und so manches gute Gespräch entsteht beim Anstehen in der Schlange vor dem nächsten Event. Große Freude brachten auch kleinere Veranstaltungen wie “Texte und Musik zu Martin Luther King” eines Jazz-Quintetts oder das Musical “Lydia, die Pur-purhändlerin” von Jugendlichen aus Halle/Saale.
Über 12.000 Betten stellten die Hamburger Bürger für Kirchentagsgäste zur Verfügung neben vielen Schulen und Turnhallen für jüngere Teilnehmer. Auch meine Frau und ich wurden von einer sehr freundlichen Dame aufgenommen, allerdings etwas außerhalb, so dass wir mit Bus und U-Bahn eine Stunde bis in die Innenstadt brauchten. Jeden Tag waren wir über 14 Stunden auf den Beinen und sind dann abends erfüllt und todmüde ins Bett gefallen.

Sehr beeindruckend war das kaberettistische Programm von Pfarrer Rainer Schmidt, der ohne Arme auf die Welt gekommen ist und erläuterte wie er den Alltag mit den beiden Armstumpfen meistert. Sehr offen erklärte er, mit welchen Hilfsmitteln er sich alleine anziehen kann oder auch alleine auf Toilette gehen kann. “Krawatten binden können Sie aber nicht”, sagte jemand im Publikum, worauf er fragte, ob es im Saal noch jemanden gibt, der das nicht kann. “Ich wusste gar nicht, dass ich heute vor so vielen Behinderten auftrete”, war seine Reaktion auf viele gestreckte Hände. Eine ehemalige Freundin hätte ihm mangelndes Fingerspitzengefühl vorgeworfen. Dies zeigt, dass er selbst seine Andersartigkeit mit Humor zu nehmen weiß. Bei der Abschlussprüfung zum Pfarrer musste er passen, als es um Wunderheilung durch Handauflegen ging, aber er hat das Laufen über das Wasser mit Note zwei bestanden - im Winter. Es war eine sehr lehrreiche Stunde, die mir verdeutlichte, dass die Integration Behinderter durch viele Hilfsmittel und Hilfsmenschen möglich ist, aber Behinderte dabei nicht von oben herab behandelt werden wollen.
Auch bei anderen Kabarettprogrammen war oftmals ein großer Andrang. Wussten Sie, dass wir heute noch im Paradies wären, wenn Gott Adam und Eva als Chinesen geschaffen hätte? Die hätten nicht den Apfel gegessen, sondern die Schlange.

Zum Gelingen des Kirchentags haben nicht zuletzt auch fünf Tage strahlender Sonnenschein und herrliches Wetter beigetragen. So fand auch der Abschlussgottesdienst am Sonntag Vormittag im Hamburger Stadtpark vor 130.000 Teilnehmern bei blauen Himmel statt. Tausende von Bläserinnen und Bläsern begleiteten die Lieder. Mehrere Großleinwände stellten sicher, dass auch weiter hinten alle den Gottesdienst gut verfolgen konnten. Hunderte von jugendlichen Helfern teilten das Abendmahl aus, indem sie nebeneinander durch die Reihen gingen. Und auch an das an diesem Tag stattfindene Osterfest der orthodoxen Christen wurde erinnert.

Als wir uns nach dem Gottesdienst auf den Heimweg machten, bekamen wir noch eine Einladung in die Hand gedrückt: der nächste evangelische Kirchentag findet vom 3. - 7. Juni 2015 in Stuttgart statt.

Regina und Jürgen Frohn

 

 
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