Gedanken zu Himmelfahrt

Jesus sprach zu seinen Jüngern: … ihr werdet die Kraft des Heiligen Geistes empfangen … Und als er das gesagt hatte, wurde er zusehends aufgehoben, und eine Wolke nahm ihn auf vor ihren Augen weg. Und als sie ihm nachsahen, … da standen bei ihnen zwei Männer in weißen Gewändern. Die sagten: Ihr Männer von Galiläa, was steht ihr da und seht zum Himmel? ( Apg 1,7-11 in Ausschnitten)

Liebe Gemeindeglieder !
Da standen sie also, die Jünger, die Anhängerinnen und Anhänger von Jesus, und starrten zum Himmel. Wie sollte es nun weiter gehen? Mit ihnen? Mit der Gemeinschaft derer, die in Jesus den Messias erkannt hatten, der umgebracht worden war am Kreuz?
Durch ein tiefes Tal der Trauer hatten sie gehen müssen und sich doch so große Hoffnungen gemacht nach Ostern. Sie hatten Jesus erfahren. Ganz neu. Dass der Tod ihn nicht hat festhalten können. Die Liebe Gottes, nein, sie war nicht totzu-kriegen. Jesus war ihnen erschienen. Auf-erstanden. In flüchtiger Gestalt zwar, aber wirkmächtig und wegweisend. Ein Auftrag: Gehet hin in alle Welt und macht zu Jüngern alle Völker … Und nun starren sie in den Himmel, wie zuvor in die finstere Grabeshöhle. Und müssen erneut erfahren, dass er auch dort nicht zu finden ist.

Was sucht ihr den Lebendigen bei den Toten? So die Worte an Ostern aus dem Grab. Starrt nicht zurück in die Vergangenheit, haltet Jesus nicht fest in Trauer und Sentimentalität, so wie er war. Nach dem Motto: Früher, als er noch bei uns war, war alles besser. Sondern: Erfahrt ihn neu in aller Lebendigkeit.
Und nun, nach 40 Tagen ein erneuter Abschied, mit den Worten: Was steht ihr da und starrt in den Himmel? Legt nicht die Hände in den Schoß und seht bloß in den Himmel, wartet nicht passiv ab, bis (einst) von dort die endgültige Rettung kommt. Sondern lebt Euer Leben jetzt, als Zeugen Jesu, die seine Liebe im Alltag leben, in der Gegenwart, so dass der Funke seiner Liebe überspringt.
Mutmachend und befreiend war die Begegnung mit Jesus nach Ostern gewesen, aber noch etwas verhalten. Noch brauchen sie die Erfahrung seiner Gegenwart, um auf die Beine zu kommen, um an seiner Stelle zu sprechen und zu handeln. Werden sie es schaffen ohne seine Gegenwart? Werden sie selbst ausschreiten können, weg aus Jerusalem, in die Welt hinein, damit das Licht der Welt nicht im Grab verlöscht, sondern die Dunkelheit auch draußen vor der Grabeshöhle vertreibt?
Es wird noch etwas dauern, bis die Jüngerinnen und Jünger ihre Trauer wirklich überwunden haben. Die Trauer um Jesus, um die Liebe Gottes, die ihnen in Jesus begegnet ist und jetzt fehlte. Bis die Jünger begriffen haben, dass sie weder in der Vergangenheit (im Grab) noch in einer ungewissen Zukunft (vom Himmel) die Wiederbegegnung mit Gottes Liebe erwarten dürfen, sondern der Ort der Begegnung mit der Liebe Gottes der Alltag ist, die unmittelbare Gegenwart. Was sucht ihr den Lebenden bei den Toten …., warum starrt ihr zum Himmel … ? Es wird noch etwas dauern, bis sie begriffen haben, was Jesus ihnen einst sagte: Wo zwei oder drei in meinem Namen beisammen sind, da bin ich mitten unter ihnen.
Himmelfahrt ist die Zäsur, an der sich alles entscheidet. Es braucht noch ein paar Tage, bis sich dieses neue Gefühl der Jünger Bahn bricht, aus dem „Mutterschoß“ hervorbricht, die neue Gemeinschaft Wirklichkeit und Pfingsten zum „Geburtstag“ der Kirche wird.

Jesus geht heim zum „Vater“, zu Gott. Himmelfahrt - ein Vatertag besonderer Art also. Und wir, seine anderen Kinder, sind fortan auf uns selbst gestellt. Wie Kinder, die selbst beginnen zu laufen, nicht mehr an der Hand des Vaters, der Mutter. Von nun an gehen wir den Weg allein freilich gestärkt durch den Geist Gottes und geleitet von den Augen des Vaters, der es gerne sieht, wenn wir dem Weg Jesu Christi folgen. Welcher nun an der Seite des Vaters sitzt, zu seiner Rechten. Der uns Gottes Liebe vorgelebt und gebracht hat. Durch den wir in Verbindung mit Gott, unser aller Vater, bleiben.

So besehen könnte jeder Tag zum Vatertag werden. Nicht nur der Himmelfahrtstag. Auch heute für uns, rund 2000 Jahre später. An jedem Tag können wir die Liebe des Vaters entdecken und sie auch weitergeben. Ohne rückwärtsgewandt angesichts der angeblich besseren Zeiten zu erstarren oder passiv auf die Zukunft Gottes zu warten. Denn diese Zukunft tragen wir in uns.
Es liegt mit an uns „Christen“, ob die Menschen, die uns begegnen, etwas von der Liebe des Vaters erfahren, von der Wirklichkeit des Reiches Gottes, das nicht von dieser Welt, aber mitten unter uns ist. Mit Gottes Hilfe, ermutigt und gestärkt durch seinen Geist, wird so jeder Tag zu einem Vatertag.

Ihr Gemeindepfarrer
Jörg Geißler

 

 
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